Zukunftsfähige Organisationskultur (4): 

Kopf+Herz+Hand

07. Juli 2024 | 4min
#unternehmenskultur #orgnisationsentwicklung #organismus #tranformation #basisprozesse 

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In der Reihe „Zukunftsfähige Organisationen“ (Teile 1-3: Sicherheit und Verbundenheit, Sinn und eigener Beitrag, Autonomie und Gemeinschaft) geht es um grundlegende Qualitäten, welche Organisationen unabhängig von Marktsituation, Geschäftszweck, Branche, Unternehmensgröße und Organisationsform als kulturelles Selbstverständnis stärken sollten, damit Menschen gern kommen und auch bleiben. Veränderungen einer bestehenden Kultur brauchen die Einheit unseres organismischen Dreiklangs: 

Verbindung von Kopf-Herz-Hand

Damit unser Kopf grünes Licht gibt, muss eine Veränderung für uns Sinn machen. Damit wir uns zu einer Veränderung motiviert fühlen, muss sie unser Herz erwärmen und damit wir etwas verinnerlichen, müssen wir es körperlich erleben und ins Tun kommen.  Dabei haben Menschen individuell unterschiedliche Schwerpunkte – wie verschiedene Lieblingstüren, durch die sie am besten Zugang zu sich und damit auch zu der inneren Offenheit für etwas Neues finden. Manchen Menschen möchten die Dinge ganz verstehen, anderen ist das vielleicht weniger wichtig, doch es muss sich für sie gut anfühlen und wieder andere wollen einfach machen und weniger theoretisieren oder erst reinspüren. Jeder Zugang ist richtig und wichtig und zugleich wirken in uns als Organismen immer alle drei Ebenen. 

 

Entsprechend dieses Dreiklangs und in Anlehnung an die von Fritz Glasl entwickelten „Basisprozesse“ spielen in Transformationen sowohl die Bewusstseinsbildung über den aktuellen Zustand und die Zukunftsbildentwicklung des gewünschten künftigen Zustands (Kopf), als auch der Umgang mit Psycho-Sozialen Gegebenheiten und die Form der Transformationskommunikation (Herz) eine Rolle, ebenso wie das Mitdenken und Gestalten von praktikablen Lern- und Umsetzungsformaten (Hand), damit das Neue ins Leben kommen kann. Diese verschiedenen Ebenen sollten in einer konsistenten Transformationsprozessarchitektur (Verbindung) orchestriert und gesteuert werden, welche den Charakter der gewünschten Unternehmenskultur in dem Entwicklungsprozess selbst bereits spürbar werden lässt. 

 

Sollte beispielsweise das Kommunikationsverhalten von Führungspersonen ein Thema sein, welches in der gewünschten Unternehmenskultur mehr Raum einnehmen soll, könnten mit Fortschreiten der Transformation Dialogformate über die Transformation besser geeignet werden als Informationsmails. Dieses Beispiel verdeutlicht zugleich, dass die verschiedenen zuvor adressierten Ebenen und Prozesse nicht als Phasen verstanden sein wollen, die nacheinander folgen. In diesem Beispiel würden in der Transformationsarchitektur frühzeitig Lernprozesse adressiert, um die Führungspersonen in entsprechenden Dialogformaten zu unterstützen. Ein anderes, häufiges Beispiel für den Auslöser von Transformationsvorhaben, sind die gewünschte Steigerung von Agilität und Flexibilität. Entsprechend sollte die Transformationsarchitektur agil und flexibel auf Ergebnisse und Bedürfnisse eingehen, ohne die ganz grundlegende Richtung aus den Augen zu verlieren. 

 

Die Kopf-Herz-Hand-Verbindung impliziert auch, dass bspw. gewünschte Leitbilder auf die Herz- und Handlungsebenen zu übersetzen sind: „Was bedeutet ‚Wertschätzung für uns, an welchem konkreten Verhalten machen wir sie fest? Woran erkennen wir ‚gute Kooperation‘ mit Abteilung XY, welche konkreten Handlungen sind dann anders als heute? Was müssen und wollen wir dafür lernen? Welche Hindernisse halten uns davon vielleicht ab – persönlich, sozial oder strukturell? Etc.“ Dieses Mitdenken und Bearbeiten der Herz- und Handlungsebenen kann manchmal mühsam werden, doch wer die vielen Leitbilder in Unternehmen kennt, die eher den Charakter von Worthülsen haben und damit sogar noch Frust schüren, weiß um die Wichtigkeit der Kopf-Herz-Hand-Verbindung. 

 

In der Transformationskommunikation ist es nach meiner Erfahrung wesentlich, die tatsächliche Motivation der gewünschten Veränderung zu kommunizieren – kein Verstecken von eigentlichen Gründen. Dazu gehört dann auch, auftretende Widerstände und Konflikte auszuhalten. Wo Widerstand ist, gibt es Information über das System, die für den Prozess eine Bedeutung haben kann. Häufig ist es dann einfacher, erstmal Konsens über einen erforderlichen Unterschied herzustellen, als an zu stark divergierenden Zielbildern festzuhalten. Bei der Konzeption und Gestaltung von Lern- und Umsetzungsprozessen sollte bewusst sein, dass Veränderung der Kultur immer Veränderung von Verhalten bedeutet – und meistens auch von Haltungen. Das ist in der Regel anspruchsvoll und braucht Zeit und Raum zum Ausprobieren, zum Verdauen und Verinnerlichen, ebenso wie Geduld und Fokus, nicht alles auf einmal ändern zu wollen. 

 

Und last but not least braucht es für eine zukunftsfähige Unternehmenskultur Management und Führungspersonen, die mit Offenheit und ehrlichem Interesse Entwicklungsprozesse selbst wollen, sie selbst leben und beherzt angehen, denn – frei nach einem Satz von Johann Wolfgang von Goethe:  

„Es muss von Herzen gehen, was auf Herzen wirken soll!“ 

Zukunftsfähige Organisationskultur (3): 

Autonomie und Gemeinschaft

13. Mai 2024 | 4min
#unternehmenskultur #orgnisationsentwicklung #claregraves #integral #ambidextrie

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In der Reihe „Zukunftsfähige Organisationskultur“ (Teil 1: Sicherheit und Verbundenheit, Teil 2: Sinn und eigener Beitrag) geht es um grundlegende Qualitäten, welche Organisationen unabhängig von Marktsituation, Geschäftszweck, Branche, Unternehmensgröße und Organisationsform als kulturelles Selbstverständnis stärken sollten, damit Menschen gern kommen und auch bleiben.  

Autonomie und Gemeinschaft – das eine und das andere

In unserer menschlichen Entwicklung bewegen wir uns unter anderem permanent zwischen den Polen Autonomie und Gemeinschaft. Diese intuitive Dynamik zeigt sich auch in verschiedenen psychosozialen Entwicklungsstufenmodelle, deren Varianten und Adaptionen in den letzten 20 Jahren in organisationalen Kontexten Anwendung finden, insbesondere für Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation. Einige der am Markt verbreiteten Modelle gehen auf das von Clare Graves entwickelte Modell The Emergent Cyclical Levels of Existence Theory zurück, darunter auch das von Graves‘ Studenten Don Beck und Chris Cowan veröffentlichte Spiral Dynamics oder auch das AQAL Modell (all quaters all levels) von Ken Wilber, welches die Entwicklungsstufen in den Kontext von vier Quadranten (innen – außen * individuell – kollektiv) setzt. Beide zitierten Modelle arbeiten mit Farben, welche mit den jeweiligen Qualitäten auf den verschiedenen Stufen assoziiert werden.

 

Doch zurück zu Graves. Als Professor der Psychologie und Kollege von Maslow hatte Graves keine wirklich zufriedenstellenden Antworten auf die Fragen seiner Studierenden nach der Entwicklung des Menschlichen Selbst geben können. Gemäß eigener Aussage war das der Auftakt seiner diesbezüglichen Forschungsarbeiten. Das Ergebnis seiner empirischen Studien war vereinfacht gesprochen ein Modell, welches davon ausgeht, dass sich das menschliche Selbst aus dem Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren entsprechend der sich immer wieder verändernden Umgebungsanforderungen entwickelt. Das Modell ist sehr vielschichtig und skizziert darüber hinaus auch Parallelen der Entwicklungsstufen zwischen Individuen, Organisationen und Gesellschaften.

 

Wieder stark vereinfacht und als Tendenzen zu verstehen, beginnen die verschiedenen Stufen ab der Geburt mit dem physischen Überleben und der Sicherung unserer Existenz. Es geht zu Anfang um die Erfüllung unsere Bedürfnisse nach Nahrung, Nähe, Schlaf und Schmerzfreiheit – im Grunde egal, wer dafür sorgt. Im Laufe weniger Wochen oder Monate bekommen unsere Bindungspersonen mehr Relevanz – es ist also nicht mehr egal, wer sich unserer annimmt. Mit zunehmender Bewusstheit des Ichs steigt der Wunsch nach Selbstbehauptung und damit auch, Dinge allein zu können und für sich allein zu haben. Mit beginnendem Kleinkindalter wird der Bezug zu anderen ganz allgemein wichtiger, auch wenn sie nicht zu dem ‚eigenen Clan‘ gehören. Der Wunsch nach Normierung in Form von Fairness und Regelungen, die für alle gelten, bekommen einen hohen Stellenwert. In der Folge werden Regelungen hinterfragt und das Explorieren von Lösungen, die noch besser sein könnten – insbesondere für einen selbst – bekommt viel Bedeutung. Immer wieder ist das Erlernen von Neuem verbunden mit großer Freude und Stolz über die erlebte Selbstwirksamkeit. Dann wird es irgendwann (wieder) wichtig(er), mit anderen zusammen zu wirken und gemeinsam Lösungen zu finden. Im Laufe der Jahre lernen wir, auch die Interessen von anderen sowie verschiedene Perspektiven einzubeziehen etc. Phasen mit einem Entwicklungsschwerpunkt auf Autonomie und Selbstgestaltung und Phasen mit einem Entwicklungsschwerpunkt auf Gemeinschaft und Normierung wechseln sich also immer wieder ab und entwickeln sich erst aus der Bezogenheit aufeinander weiter. Das eine und das andere. 


Eine weitere These des Modells besteht darin, dass die Phasen nicht in sich abgeschlossen sind. Vielmehr geht der Prozess der Entwicklung in beide Richtungen hin und her, vor und zurück. Die nächste Phase oder Stufe erforschen und wagen bei gleichzeitiger Verfügbarkeit von bereits Bekanntem und Vertrautem ist ein fortwährender individueller und kollektiver Prozess von Bewegung und Balancierung zwischen Bewahrung und Veränderung, Dauer und Wechsel, der Entwicklung überhaupt erst möglich macht. 

 

Gemäß des Modells von Graves haben erwachsene Menschen alle Phasen mehr oder weniger intensiv durchlebt und verfügen somit entsprechend eines Integrals grundsätzlich über das Potenzial aller mit den Stufen assoziierten Qualitäten, wobei jede:r insbesondere solche Werte und Fähigkeiten ausprägt, die sich für die individuelle Wirklichkeitsbewältigung als besonders nützlich erwiesen haben. Für den Ausbau der Qualitäten einer nächsten Stufe ist es in dem Modell erforderlich, die Qualitäten aller bisherigen Stufen auf gesunde Weise integriert zu haben. Gesund integriert bedeutet hier, dass differenziert und kontextualisiert die Wahlmöglichkeit verfügbar ist, welche der bereits integrierten Qualität in einer bestimmten Situation gebraucht wird, statt unabhängig von Kontext, Zustand und Situation auf immer gleiche Weise zu agieren und zu reagieren. Analog verhält es sich mit den impliziten oder expliziten Wirkfaktoren in Systemen. Bezogen auf Organisationen sollten diese demnach danach streben, genau die Qualitäten weiterzuentwickeln, die für das ins Leben bringen einer gewünschten Kultur hilfreich sind.
 

Die Qualitäten der verschiedenen Stufen als auch die Grunddynamiken des Modells spiegeln sich auch in den Erkenntnissen der schon in Teil 1 und 2 zitierten Aristoteles-Studie und dem allgegenwärtigen Agile Mindset wider: Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Wirklichkeiten und Offenheit für Neues und Lust am Lernen brauchen Sicherheit und Verbundenheit – flexible Arbeitszeiten, Selbstgestaltung und Handlungswille wirken (erst) im Zusammenspiel mit Co-Kreation und Lösungsorientierung und brauchen Eigenverantwortung ebenso wie Fairness und Zuverlässigkeit. In diesen Kanon von „sowohl als auch“ gehört auch die in den letzten Jahren als Ambidextrie (mit zwei rechten Händen) bezeichnete Erfordernis an Organisationen, laufendes Gute weiterzuführen bei gleichzeitigem Explorieren von Neuem, um mit den sich beständig und immer schneller verändernden Lebenswirklichkeiten zurecht zu kommen. Graves Modell oder auch das Integrale Modell von Ken Wilber eignen sich daher gut für das Aufspannen der erforderlichen Gleichzeitigkeit von Bewahrung und Veränderung, von autonomiebetonten und gemeinschaftsbetonten Qualitäten, für das Identifizieren von möglichen Überbetonungen oder weißen Flecken und auch für die Thematisierung und Bewusstseinsbildung, dass wir uns in Situationen der Unsicherheit gern mit den Qualitäten zeigen, die uns besonders vertraut sind – als Individuen und im Kollektiv.

 

Wenn man in die Thematik der verschiedenen Qualitäten und Vorzüge in einem Team tiefer einsteigen möchte, können Entwicklungsstufenmodelle nach meiner Erfahrung allerdings die Schwierigkeit einer empfundenen Höher- oder Niederwertigkeit mit sich bringen, da mit den Stufen eine zunehmende mentale Reife assoziiert wird. Auch bei sorgfältiger Vermittlung und Kommunikation, dass eine Stufe nicht besser als ein andere ist, lässt sich dieses Empfinden aufgrund des Stufen-Bildes oft nicht vermeiden. An der Stelle arbeite ich daher lieber mit Wertequadraten, Glaubenspolaritäten, Innerem Team oder IFS (Internal Familiy System) – ohne Stufen. Analog finde ich im Kontext von Entwicklungsprozessen in Organisationen weiterhin das Phasenmodell nach Fritz Glasl gut, welches archetypische Tendenzen von Organisationen in der Gründungsphase bis zur etablierten Organisation beschreibt, ohne dass damit eine Wertung attribuiert wird. Wer zu dem Thema noch mehr lesen möchte, empfehle ich die differenzierte und sehr hilfreiche Gegenüberstellung zwischen Integralem Modell nach Ken Wilber und Entwicklungsphasen nach Fritz Glasl von Oliver Martin
 

Graves äußerte sich meines Wissens im Laufe seiner Studien und Veröffentlichungen zwischen den 50er bis in die 80er Jahre nicht darüber, wie es mit Entwicklungsstufen im Erwachsenenalter weiter geht. Doch mittlerweile wissen wir dank moderner Hirnforschung, dass wir sowohl unsere mentalen als auch unsere emotionalen Qualitäten ein Leben lang weiter entwickeln können. Und wenn wir damit anfangen, das in uns angelegte Potenzial zu nutzen – wer weiß, was dann noch alles möglich wird 😊 

Zukunftsfähige Organisationskultur (2): 

Sinn und eigener Beitrag 

24. April 2024 | 2min
#unternehmenskultur #strategie #logotherapie #newwork #okr

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In der Reihe „Zukunftsfähige Organisationskultur“ (Teil 1: Sicherheit und Verbundenheit) geht es um grundlegende Qualitäten, welche Organisationen unabhängig von Marktsituation, Geschäftszweck, Branche, Unternehmensgröße und Organisationsform als kulturelles Selbstverständnis stärken sollten, damit Menschen gern kommen und auch bleiben. 

Sinnverbindung und eigener Beitrag  

Seit jeher befassen sich Menschen mit dem Sinn ihres Daseins, ihres Handelns – des Lebens an sich. Aus der Verbindung mit Sinn, können wir unvorstellbare Kräfte mobilisieren. Für Viktor E. Frankl, Begründer der Logotherapie, war die Verbindung mit dem Sinn des eigenen Überlebens, das notwendig war, um der Welt von seinen Beobachtungen und Erfahrungen berichten zu können, wesentliche Kraftquelle während seiner Jahre in Konzentrationslagern. Neben den ganz unwillkürlich einsetzenden Überlebensmechanismen kann das Streben nach Sinnverwirklichung, das heißt nach Verwirklichung eines dem Leben Sinn verleihenden Wertes, den entscheidenden und das Überleben ermöglichenden Unterschied machen, selbst in solch‘ einer uns allen unvorstellbaren Extremsituation.
 

Im Kontext der Arbeitswelt wurde die von einem empfundenen Sinn ausgehende Sog-Wirkung bereits in der frühen New Work Bewegung als wesentliche Säule adressiert und in späteren Führungsmodellen als Differenzierungselement zwischen zieleorientierter transaktionaler und sinnbezogener transformationaler Führung beschrieben. Damit wir motiviert sind, unsere Aufmerksamkeit und Energie für etwas einzusetzen, muss unser Handeln also in irgendeiner Form Sinn ergeben. So ist es für viele Menschen wichtig geworden, sich mit den Unternehmenszielen identifizieren zu können. Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung stehen dabei oft ganz oben. Doch als Menschen erleben wir unsere Arbeit insbesondere dann als sinnvoll, wenn wir spüren und erkennen, dass der eigene Beitrag einen echten Unterschied macht. 


Sich dabei mit der Mission einer Organisation identifizieren zu können, ist zweifelsohne gut – und reicht zugleich nicht. Insbesondere die Unterschiedsbildung durch die eigenen Handlungen ist für unsere Motivation entscheidend. Es ist daher wesentlich, dass die Unternehmenssteuerung der Unternehmenskultur folgt und Menschen sich als Gestalter:innen ihrer Arbeit in der ganz konkreten Umsetzung von Strategien und Zielen erleben können. Auch dieser Aspekt ist u.a. eines der Ergebnisse der schon in Teil 1 zitierten Aristoteles Studie über die Wirksamkeit von Teams. Viele Unternehmen setzen mittlerweile wie Google auf OKR (Objectives and Key Results) als ganzheitliches Steuerungsinstrument, welches neben einem strukturgebenden, dynamischen und lebendigen Rahmen vor allem von der Haltung lebt, dass jedes Team es selbst in der Hand hat, geeignete Ziele und Handlungen als Beitrag zum Großen und Ganzen festzulegen. Das framework von OKR ist für viele Unternehmen allerdings zu aufwändig, zu zahlen- und reportingorientiert oder sogar kontraproduktiv auf dem Weg zu einer Organisationskultur der Zusammenarbeit und wird nach aufwändiger Einführung wieder stillgelegt. Das passiert insbesondere, wenn OKR als eine Art Neuauflage der Balanced Score Card (BSC) "miss"verstanden und eingesetzt.
Der Grundgedanke von OKR, dass Menschen einen Zusammenhang zwischen ihren Handlungen und den Zielen ins Bewusstsein nehmen und als Gestalter:innen ihre Wirksamkeit direkt erlebbar machen, kann auch ohne aufwendiges, KPI-orientiertes System für nahezu jedes Unternehmen umsetzbar werden und hat mit der BSC aus den 90ern nicht mehr viel gemein.

Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die Sinnverbindung nicht utilisiert wird, um auf das Ertragen von Unerträglichem und zur bekannten „Extrameile“ hin zu wirken. Leider begegnet mir immer noch, dass der bekannte Satz von Nietzsche „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“ von Menschen zur Beschreibung ihrer Arbeitssituation zitiert wird und für sie Ausdruck eines schmerzlichen Missbrauchs ihres Engagements darstellt. Damit wir gesund bleiben, ist das „Wie“ unseres Seins und Tuns ganz und gar nicht egal.

Qualitäten der Elemente:

Wenn Transformationen stocken 

23. April 2024 | 3min
#transformationsprozess #school-of-lost-borders #basisprozesse #trigon #aufstellungsarbeit

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Mich fasziniert die Weisheit, die Menschen aus einer tiefen Verbindung mit der Natur schöpfen. Bei den Wildnisschulen Weltenwandler und Healing Nature habe ich etwas über ihre Arbeit mit dem Medizinrad erfahren. Ein Medizinrad wird zumeist aus Steinen als Kreis auf dem Boden gestaltet, wobei die Himmelsrichtungen für den Kreislauf des Lebens stehen. In diesem kleinen Artikel geht es darum, inwiefern die Herangehensweise mit dem Medizinrad auch für Transformationsprozesse in Organisationen hilfreich sein kann – insbesondere, wenn es nicht so recht voran geht und irgendwie auch nicht klar ist, woran es eigentlich liegt.  

 

Medizinräder gehen auf eine Jahrtausende alte indigene Tradition zurück und dienten Menschen seit jeher als Orte der Energie, der Orientierung, des Antworten Findens, des Erneuerns. Den Himmelsrichtungen des Rades werden u.a. die Qualitäten der Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft/Licht attribuiert, welche die Natur uns zur Verfügung stellt und den Lebensfluss ausmachen. Eine besondere Bedeutung kommt den Übergängen zu, den sogenannten Schwellen. So ist beispielsweise vielen mittlerweile der Begriff der „Visionssuche“ bekannt – ein Ritual, bei dem Menschen sich für den Übergang von einer Lebensphase in eine neue auf die Kraft und Ruhe der Natur einlassen und so (wieder) mehr in Kontakt mit der eigenen inneren Quelle kommen können, um Entscheidungen für das künftige Leben zu treffen. Visionssuchen, wie sie heute auch bei uns Anwendung finden, haben ihren Ursprung in einem entsprechenden Ritual zum Schwellenübergang von der Jugend zum Erwachsenenleben. Auch wenn kein bestimmter Übergang ansteht, kann uns die Arbeit mit dem Medizinrad dabei helfen, wieder in Kontakt mit diesen Qualitäten zu kommen, die wir als Menschen tief in uns tragen. 

 

Mit Bezug auf das Medizinrad in den Zuordnungen nach Hyemeyohsts Storm und Steven Foster, zusammen mit Meredith Little Begründer der School of lost Borders, leiten sich für Veränderungsprozesse in Organisationen vereinfacht folgende Qualitäten ab:

Osten – Frühling – Feuer: Qualität der Erneuerung, des Brennens für eine Idee (Geist)

Süden – Sommer – Wasser: Qualität der Ausdehnung, des Erforschens und Bahnens von Wegen (Gefühl)

Westen – Herbst – Erde: Qualität des Formens, des Gestalt Annehmens (Körper)

Norden – Winter – Luft/Licht: Qualität der Klarheit, der Ordnung und Umsetzung (Verstand)

In einem Prozess der Veränderung braucht es alle diese Qualitäten. Als Grundmuster werden sie in dem beschriebenen Kreis durchlaufen, wobei es kürzere oder längere Schleifen des Ausprobierens, des Anpassens oder auch des Verwerfens und Neustartens gibt. In einem stockenden Veränderungsprozess könnte das Team beispielsweise überprüfen, ob es Qualitäten gibt, die in dem Prozess nicht ausreichend Platz gefunden haben. Hat sich das Team zwischen einer Idee oder Vision über einen gewünschten künftigen Zustand Raum und Zeit für das Erforschen und Bahnen von Wegen genommen, so dass sich aus der Bewegung organisch genau die Form ergeben konnte, die dem Sinn der Veränderung bestmöglich dient? Hängt das Team vielleicht in einer Dauerschleife zwischen Ideen und Ausprobieren fest, da es einfach so viel mehr Spaß bringt, Themen immer wieder neu zu denken und zu experimentieren, als sie zu formen und in die Umsetzung zu bringen? 

 

Wer mit den Basisprozessen der Organisationsentwicklung nach Trigon vertraut ist und zudem auch das große Glück hatte, den Ausführungen von Friedrich Glasl zu den aus dem jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos der Genesis archetypischen Wirkmechanismen in organisationalen Veränderungsprozessen zu lauschen, wird hier sofort Parallelen erkennen. Ergänzend zu dem skizzierten Medizinrad betont Friedrich Glasl nach dem initiatorischen Schöpfungsfeuer, entsprechend der Genesis, die so wesentliche Qualität des Lichtes – die Trennung von Tag und Nacht. Auf Organisationen übertragen steht die Qualität des Lichtes für das Sehen der gewordenen Situation, für die Bewusstseinsbildung über Sichtbares und auch über das Nicht-Sichtbare. Und es braucht das Licht, damit sich ein konkretes Bild, eine Vision, über einen gewünschten künftigen Zustand abzeichnen kann. In der Schöpfungsgeschichte geht es weiter mit der Trennung von Himmel und Erde, der Entstehung des Himmelsgewölbes. Übertragen auf Organisationen geht es um die Luft zum Atmen, um Handlungsspielraum, um Freiraum für Entwicklung – und damit um die Voraussetzung, dass überhaupt etwas in Bewegung kommen kann. 

 

Mit Referenz zu dem Medizinrad könnte man vielleicht sagen, dass es in Entwicklungsprozessen an den Schwellenübergängen immer auch die Qualität des Lichtes braucht, der Reflexion des bis dahin Entstandenen und des sich Erinnerns an das, was noch entstehen soll – ebenso wie die Luft zum Atmen und damit die Freiheit weiterzugehen. Für die praktische Arbeit in Veränderungsprozessen kann eine individuelle Form von Medizinrad auf dem Boden gestaltet und in Aufstellungsarbeit die Intensität der verschiedenen Qualitäten und Relevanz der jeweiligen Schwellen erforscht werden. Durch die Aufstellungsarbeit wird dem Team darüber hinaus eine weitere, ganz wesentliche Wissensquelle verfügbar – die Weisheit des Körperempfindens, der Mensch als ganzheitlicher Organismus. 

Zukunftsfähige Organisationen (1): 

Sicherheit und Verbundenheit 

21. April 2024 | 4min
#unternehmenskultur #polyvagaltheorie #mindfulness #newwork #achtsamkeit #innovation

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In der Reihe „Zukunftsfähige Organisationskultur“ geht es um grundlegende Qualitäten, welche Organisationen unabhängig von Marktsituation, Geschäftszweck, Branche, Unternehmensgröße und Organisationsform als kulturelles Selbstverständnis stärken sollten, damit Menschen gern kommen und auch bleiben. 

Sicherheit und Verbundenheit sind die Basis von allem

In welchem Kontext auch immer wir uns als Menschen bewegen, möchten wir uns gut fühlen – und genau das tun wir, wenn wir uns sicher und verbunden fühlen und wenn das, was wir bekommen mit dem zusammenpasst, was wir wollen und für uns Sinn macht. Wir fühlen uns dann gut, weil unsere grundlegenden emotionalen Regulationssysteme uns die Rückmeldung „Bedürfnisse werden befriedigt“ geben, wobei das Bedürfnis nach Sicherheit evolutionsbiologisch das basalste und stärkste in uns ist. 

 

Die moderne Hirnforschung hat gezeigt, dass unser autonomes Nervensystem ständig prüft, ob eine Umgebung für uns sicher ist. Nur wenn wir uns sicher fühlen, ist für uns alles ‚im grünen Bereich und die Bahn frei für positive soziale Interaktion, Empathie, Kreativität, Lösungsorientierung und kluge Entscheidungen. Unser evolutionsbiologisch soziales Wesen bedingt zudem, dass wir Abhängigkeit voneinander empfinden. So entsteht das Gefühl von Sicherheit in sozialen Kontexten vor allem dadurch, dass Menschen keine Angst vor Ablehnung haben, sich verbunden, akzeptiert und zugehörig fühlen, einander unterstützen. Evolutionär hat sich das Kultivieren dieser sozialen Fähigkeiten als so günstig erwiesen, dass die entsprechenden Areale unseres Gehirns – wenn wir uns sicher fühlen – unsere Aktivitäten weitgehend steuern, so dass wir uns kreativ und offen auf Neues einlassen, Situationen reflektieren oder auch verschiedene Perspektiven und Überlegungen in unsere Handlungen einbeziehen können. 

 

Wenn wir uns jedoch nicht sicher und verbunden fühlen oder unsere Versuche erfolglos bleiben, eine Situation mittels sozialer Interaktion zu lösen, steigt unser Aktivitätslevel von positiver Spannung zu Stress und unser Nervensystem greift auf Schutzmechanismen zurück, die bekannten „fight-or-flight (Kampf-oder-Flucht)“ Mechanismen, mit entsprechenden körperlichen Auswirkungen. Dabei differenziert unser Nervensystem nicht, ob die empfundene Bedrohung unser physisches Überleben betrifft oder ob wir uns psychisch-sozial bedroht fühlen. Beispielsituationen können sein, wenn Ansprüche von anderen oder von uns selbst uns unter so hohen Erfolgsdruck setzen, dass das Stresslevel immer weiter steigt und sich nicht mehr regulieren lässt oder auch, wenn wir aus einer internen Konkurrenzsituation heraus Ängste oder Scham erleben, etwas falsch zu machen und nicht zu genügen. Je nach Persönlichkeit und abgespeicherten Erfahrungen reagieren wir dann mit verbalen Gegenangriffen, Vorwürfen, Beschuldigungen etc. oder wir weichen einer möglichen Konfrontation aus, ziehen uns zurück, scheuen das direkte Gespräch und die Zusammenarbeit und versuchen, aus der Schusslinie zu kommen. Steigt der empfundene Stress immer weiter und reicht der fight-or-flight-Mechanismus nicht mehr aus, weil eine Situation wieder und wieder als Bedrohung erlebt wird, kann der ultima-ratio Schutzmechanismus „freeze (Erstarrung)“ greifen, der uns in eine Art Lähmung versetzt. Wir kommen dann in einen Zustand innerer Kündigung und werden unfähig, überhaupt zu reagieren, geraten im Extremfall in die zeitweise oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, Burn-out oder Depression. Die Reaktionen unseres autonomen Nervensystems sind also Lösungsversuche, um unser Leben vor den als bedrohlich erlebten Situationen zu schützen – Reaktionen, die uns als Symptome wirklich wichtige Hinweise für Ursachen und damit auch für Ansatzpunkte für neue Möglichkeiten liefern können. 

Mit Selbsterinnerung aus Reiz-Reaktions-Mustern aussteigen

Um solche neuen Möglichkeiten zur Wirklichkeitsbewältigung im Heute und Hier zu entwickeln, braucht es Bewusstheit über die Wirkmechanismen in bestimmten Situationen und auch über die eigenen Bewertungen und Verhaltensmuster darin. Diese Fähigkeit zum bewussteren Wahrnehmen des gegenwärtigen Moments können wir üben. Die sogenannte Achtsamkeit, ich verwende dafür wie einer meiner Ausbilder Lienhard Valentin lieber den Begriff Selbsterinnerung, hilft uns dabei, besser mitzubekommen, welche Gedanken und Gefühle uns leiten, wenn wir in bestimmten Situationen Stress oder Unsicherheit erleben und dann auf eine Art reagieren, die wir selbst gar nicht unbedingt wollen, sondern viel lieber gelassener, überlegter und geduldiger oder auch klarer und mutiger wären, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Durch das gezielte Üben der Wahrnehmung, was in einem bestimmten Moment in uns los ist, werden wir mehr und mehr unsere Wahlmöglichkeit entwickeln, um bewusster und situationsbezogener unser Verhalten zu steuern und aus dem Auto-Piloten des autonomen Nervensystems auszusteigen. Und dafür gibt es auch kein zu spät, denn dank Neuroplastizität, also lebenslanger Veränderbarkeit und Anpassungsfähigkeit unseres Nervensystems, können wir ein Leben lang lernen, auch eingefahrene Bahnen zu verlassen. So kann bspw. auch Vertrauen in uns selbst und in andere durch Erfahrung um Erfahrung aufgebaut werden. Das Einzige, was wir dazu brauchen, sind die Bereitschaft und das Interesse, uns selbst zu reflektieren und etwas Neues auszuprobieren.

 

In vielen Unternehmen gibt es mittlerweile achtsamkeitsbasierte Angebote zur Stressprävention oder Steigerung der Resilienz und Selbstwirksamkeit auf individueller Ebene. Trotz dieser so wesentlichen Bedeutung von Achtsamkeit für das Kultivieren von Sicherheit und Verbundenheit wird dem Aspekt in Entwicklungsprogrammen von Unternehmens- oder Führungskultur nach wie vor eher wenig Umfang eingeräumt. Mögliche organisations- oder teamübergreifende Ursachen für fehlende Sicherheit, wie intransparente Kommunikation, fehlende Wertschätzung etc., bleiben dann unbeachtet und laufen sogar Gefahr, sich ungünstig zu verstärken, wenn stark belastete einzelne Personen dank Resilienztraining wieder ‚besser klarkommen‘. 

 

Die Bedeutung von Sicherheit und Verbundenheit im Sinne einer angstfreien Kultur hatte schon Frietjof Bergmann in den 70ern in seinen New Work Konzepten als Voraussetzung für eine neue „Freiheit und Selbstgestaltung der Arbeit“ beschrieben. Diverse Studien zur Wirksamkeit von Teams und Organisationen belegen seitdem die hohe Relevanz von Psychologischer Sicherheit, am bekanntesten ist vielleicht die bei Google durchgeführte Aristoteles Studie zur Ermittlung von Erfolgsfaktoren wirksamer Teams. Auch für die Etablierung einer viel zitierten Innovationskultur, in der Menschen eingeladen sind, Arbeitskontexte und Abläufe kritisch zu hinterfragen und neu zu denken, braucht es ein Grundverständnis von „ich bin okay – du bist okay“, damit Menschen ausprobieren und ohne Ängste mal danebenliegen können. Es ist also aus verschiedenen Gründen wesentlich, sich gerade im Rahmen von Programmen zur Führungs- und Organisationskultur der Achtsamkeit, Sicherheit und Verbundenheit zu widmen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Dabei sind Behutsamkeit und respektvoller Umgang gefragt, so dass jede:r die Möglichkeit behält, in dem eigenen Tempo zu gehen.

 

Wer in das Thema Sicherheit aus Perspektive der Polyvagaltheorie (Bereich der modernen Hirnforschung) noch etwas mehr eintauchen möchte, findet eine gute Zusammenfassung in dem Video von Mathias Timm.

Muster transformieren: 

von Kindern lernen

18. April 2024 | 2min
#verhaltensmuster #mitkindernwachsen #vertauen

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Letzte Woche hat meine Enkeltochter Emmi Ferien bei mir verbracht – ein großes Geschenk, Zeit mit einem 5jährigen Zauberwesen verbringen zu dürfen. Zauberwesen, da Kinder diese unglaubliche Zauberkraft haben, einen ganz in den Moment zu holen, in dem wir gerade sind, die Unmittelbarkeit der Freude und des Staunens, des Innehaltens und einfach des Seins zu spüren. Die Zeit wird wie zu einer Dauermeditation im Sinne des fortwährenden ganz-präsent-Seins, ohne etwas dafür tun zu müssen – zumindest über weite Strecken.


Doch dann gibt es natürlich auch die Momente, in denen auch Großeltern und Enkelkinder unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, was in einer bestimmten Situation wichtig und richtig ist. Wir hatten eine solche Situation an einem Morgen, als es darum ging, bei knapp 8°C Sandalen ohne oder feste Schuhe mit Socken anzuziehen, wobei die Misch-Option ‚Sandalen mit Socken‘ für Emmi direkt ausschied. Wie man sich vorstellen kann, vertrat Emmi die ‚Sandalen‘ und ich die ‚Socken und festere Schuhe‘ Position. Da wir keine Eile hatten und nichts schnell entschieden werden musste, versuchte ich Emmi mit dem Argument zu überzeugen, dass es zwar nicht sein muss, jedoch sein kann, dass Sandalen bei 8° zu Erkältung und Kranksein führen und sie in dem Fall nicht in den Kindergarten wird gehen können, den sie sehr mag. Dank langjähriger Achtsamkeitspraxis habe ich selbst noch direkt in der Situation gemerkt, dass ich mich mit meinem Vorgehen unwohl fühlte. Hatte ich Emmi überhaupt mal gefragt, wie sich Sandalen bei 8°C für sie anfühlen? Meine Argumentation entsprach doch eher einer in nette Worte verpackten Drohung als einem zugewandten Interesse an einer guten Lösung. Doch Emmi fühlte sich glücklicherweise nicht direkt bedroht und sagte mit großer Ruhe und Klarheit 

„Wir suchen nicht nach Schuld, Omi!“ 

Wow – was für ein kluges und weises Wesen hatte ich da als Lehrmeisterin! 

Erst in dem Moment ist mit bewusst geworden, dass ich aus meinem eigenen Bedürfnis heraus, Emmi gesund wieder nach Hause zu bringen, gehandelt und dabei total übersehen hatte, was für Emmi in dem Moment wichtig war. Zum Glück konnten wir dann beide über meinen Überzeugungsversuch lachen und nochmal neu nach einer guten Lösung suchen und auch finden – und die fing damit an, dass ich mich wieder mit meinem Vertrauen in Emmi verbunden habe, dass sie selbst merken würde, falls sie frieren sollte und das dann auch äußern würde. Und als Emmi wiederum mein Vertrauen spürte und sich also wieder sicher und angenommen fühlte, fing sie von sich aus an, über den Zusammenhang zwischen Klamotten und Gesundbleiben nachzudenken…

 

Aus der Situation habe ich wieder einmal gelernt, wie tief bestimmte Muster in mir verankert sind und wirken, auch wenn ich sie selbst nicht mag und weit von mir weisen würde. Ob ich wollte oder nicht – in der Situation war für mich offenbar das vertrauteste Muster, Emmi den Zusammenhang zwischen ihrer Schuhwahl und dem möglichen Krankwerden darzustellen, ihr also eine Schuld für mögliches Krankwerden unterzujubeln, anstatt erstmal davon auszugehen, dass sie ein gutes Körpergefühl hat und sich schon melden wird, wenn sie frieren sollte. Klar hatte mein Überzeugungsversuch den grundsätzlich guten Grund, dass Emmi nicht krank wird und klar darf es auch irgendwann um die Thematisierung von Eigenverantwortung gehen. Doch im Grunde hatte mein Verhalten nicht viel mit der Emmi zu tun, wie sie klar und körperbewusst vor mir stand, sondern mit alten Mustern von mir. 

 

Ich bin dankbar, etwas Wesentliches über die ‚Suche nach Schuld‘ in einem Verhaltensmuster von mir gelernt zu haben – ein Thema, das wohl in vielen der Generation 50+ ganz unwillkürlich wirkt und daher auch im organisationalen Kontext den ein oder anderen Blick lohnt – natürlich liebevoll mit sich selbst und mit anderen😊

Vertrauen ist die Basis:

Radikaler Mut

18. März 2024 | 1min
#pioneersofchange #mut #beHERZt #polyvagaltheorie #sicherheit #ifs

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Mut ist Thema in jedem Entwicklungsprozess – ausgesprochen oder unausgesprochen – die Wesentlichkeit von Mut ist immer mit im Raum. Oft wünschen sich Führungspersonen ‚mehr Mut‘ von Mitarbeitenden, zB Entscheidungen eigenständig zu treffen. Doch was bedeutet Mut in dem Zusammenhang eigentlich und steht Mut im Gegensatz zum Vertrauen? Wird eine Handlung erst dann zu einer mutigen Handlung, wenn ein ängstlicher, unsicherer Anteil mit dabei ist? Braucht jemand also umso mehr Mut, je weniger Vertrauen in die Organisation, die Führungsperson, die Kolleg:innen oder sich selbst besteht?

 

Von Johannes Narbeshuber habe ich den Begriff "Radikaler Mut" kennen gelernt. Die Verbindung mit dem Attribut „radikal = mit Wurzeln versehen“ hat mich dazu angeregt, nochmal anders auf die Qualität von Mut zu schauen. Wenn Mut aus wie einer Art Verwurzelung erwächst, dann trägt er nach meinem Verständnis die Qualität von Vertrauen bereits in sich. In einem Zustand von Wurzel-Energie fühlen wir uns sicher, sind im Sinne der Polyvagaltheorie im 'grünen Bereich', handeln in der IFS-Sprache (Internal Family System) aus unserem Selbst heraus und können so überhaupt erst kreativ und mutig sein.

In Organisationen bedeutet dies, dass für die Entfaltung von Mut das Kultivieren von Vertrauen im Sinne erfahrbarer psychologischer Sicherheit und Verbundenheit die Basis ist, damit Bewegung in das System kommen und innovative, schöpferische Entwicklung möglich werden kann. So könnte man vielleicht auch sagen: 

"Radikaler Mut = Vertrauen x Neugier x Bewegungswille" 

Entscheidungsträger:innen in Organisationen haben die Möglichkeit, diesen radikal mutigen, beHERZten Weg voran zu gehen und so einen entscheidenden Unterschied zu machen.

Bedeutungsgebung von Wörtern:

Lernkultur und ihre Missverständnisse 

17. März 2024 | 2min
#Lernkultur # Fehlerkultur #Sicherheit #hypnosystemisch

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Das Thema der sogenannten Fehlerkultur kommt in fast jedem Transformationsprozess vor, mehr Offenheit, mehr Mut und mehr Transparenz sind gefragt. Je nach Unternehmenskultur, begegnen mir dabei – durchaus gut gemeinte – Sätze von Führungspersonen wie „Wir brauchen eine andere Fehlerkultur, ihr müsst es doch einfach nur sagen, wenn ihr was falsch gemacht habt. Niemandem wird dafür der Kopf abgerissen.“

Welches allererste Gefühl hattest du beim Lesen dieser Sätze? 

Wie wir aus der Polyvagaltheorie wissen, lässt es sich gar nicht vermeiden, dass unser Autonomes Nervensystem ganz unwillkürlich ein unangenehmes Gefühl hochsteigen lässt – mit Formulierungen wie „Fehlerkultur“‚ „ihr müsst doch einfach nur“, „falsch gemacht“ und „Kopf abreißen“ assoziieren wir nun einmal keine Situation, in der wir uns sicher und mit einem vermeintlichen Fehler angenommen fühlen (mehr zum Thema Sicherheit, findet ihr in meinem Beitrag vom 22. April 2024). In der Regel werden durch solche Sätze in uns sogenannte Beschützer-Anteile aktiviert, die unseren Organismus in Stress-Situationen vor Schaden bewahren möchten. Diese Beschützer können sich in einem sich rechtfertigenden Gefallenwollen ebenso äußern wie in einem abwehrenden Vonsichweisen oder Angriffen, Gegenvorwürfen. 

 

Durch Aufmerksamkeitsübungen können wir lernen mitzubekommen und wahrzunehmen, was in uns in so einem Moment los ist, welche Gedanken und Gefühle wir dann haben. Und wir können auch lernen, aus unseren intuitiven Reiz-Reaktions-Mustern auszusteigen und den Stress so zu regulieren, dass unser Organismus wieder in den ‚grünen Bereich‘ kommt, in dem wir die Wahl haben, wie wir auf solche Sätze reagieren wollen. Diese Fähigkeit zur Selbstregulation ist zentral, da wir es nicht in der Hand haben, wie sich andere verhalten. Und manchmal werden die Situation noch schwieriger, wenn wir uns durch eigene Gedanken und Selbstbewertungen zusätzlich unter Druck und damit in Stress zu versetzen. Insofern: die Fähigkeit, sich selbst mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen wahrzunehmen, kann uns in vielen Situationen hilfreich sein.

Sprache beeinflusst unsere Disposition für Lernen

Die Wortherkunft von Fehler und falsch trägt eine Qualität von Schuldhaftem in sich, lateinisch falleren = täuchen. Und auch wenn Latein in der Alltagssprache nicht mehr vorkommt, ist der Charakter des Wortes nicht frei von Vorwurf. Für einen hilfreichen Umgang mit sogenannten Fehlern könnten wir daher versuchen, durch die Wahl unserer Worte Stressaktivierung bei unserem Gegenüber zu vermeiden. Bedingungslose Narrative wie „Fehler sind toll, absolut jeder Fehler ist klasse und willkommen“, die im Rahmen der Etablierung einer 'gesunden Fehlerkultur' häufig als hilfreich – da angstnehmend – scheinen, können in der Wirkung  allerdings ebenso missverständlich sein, wenn sie zu einer Form von Gleichgültigkeit einladen. Vielmehr geht es im Umgang mit sogenannten Fehlern darum, den Möglichkeitsraum von Lernen zu öffnen – und das geschieht weder durch eine Vermittlung von Beliebigkeit noch durch die zuvor beschriebene Aktivierung von Stressoren mit angstinduzierender Sprache. 

 

Von einem meiner Ausbilder, dem Begründer der Hypnosystemik Gunther Schmidt, habe ich die wunderbare Re-Formulierung von sogenannten Fehler als "Handlungen mit einer in einer bestimmten Situation, in einem bestimmten Kontext unerwünschten Wirkung"  kennen gelernt. Die Aussage ist klar, die Wirkung einer Handlung war nicht gewünscht, und sie ist zugleich versöhnlich einladend, gemeinsam zu lernen – aus einer konkreten Situation in einem konkreten Kontext, ohne Verallgemeinerungen oder Zuschreibungen. Eine solche Sprache des Lernens wird möglich durch eine innere Haltung wahrhaftigen Interesses, aus einer gemachten Erfahrung zu lernen. Damit solches Lernen möglich wird, braucht es eine gelebte Kultur von Sicherheit (mehr zum Thema Sicherheit in meinem Beitrrag vom 22. April 2024), ohne zu verflüssigen oder zu bagatellisieren.